In der ICD10 (Dilling et al., 2016) wurde die Autismus-Spektrum-Störung nicht als ein zusammenhängendes Störungsbild betrachtet, sondern es wurden drei (angeblich) abgrenzbare Störungsbilder beschrieben: 1) Der frühkindliche Autismus, 2) das Asperger-Syndrom und 3) der atypische Autismus. Diese Unterteilung in abgrenzbare Subtypen ist allerdings mit Blick auf die wissenschaftlichen Forschungserkenntnisse nicht mehr haltbar, sodass nur noch von der Autismus-Spektrum-Störung zu sprechen ist (z.B. DGKJP & DGPPN, 2016; DSM5; ICD11; Kamp-Becker et al., 2010; Lord, 2012; Miller & Ozonoff, 2000). Aufgrund der wissenschaftlichen Evidenz sind also die Autismus-Subtypen, die früher unterschieden wurden, nicht mehr zu unterscheiden: Personen, die früher mit dem Asperger-Syndrom oder dem frühkindlichen Autismus diagnostiziert wurden, erfüllen in aller Regel die Diagnosekriterien für die Autismus-Spektrum-Störung und somit ändert sich mit dem Wechsel von der ICD10 zur ICD11 in aller Regel ihre Diagnose zu ebendieser Autismus-Spektrum-Störung (Habermann & Kißler, 2022; ICD11). Allerdings erfüllen nicht alle Personen, welchen in der Vergangenheit die Diagnose atypischer Autismus zugewiesen wurde, die Diagnosekriterien für eine Autismus-Spektrum-Störung. Denn beim atypischen Autismus handelt es sich im ICD10 um eine Kategorie, welche Menschen mit sehr heterogenen Symptomausprägungen umfasst: So erfüllen nämlich per Definition der ICD10 Personen mit der Diagnose atypischer Autismus teilweise nicht alle Symptome, die für die Diagnosestellung einer Autismus-Spektrum-Störung im Sinne der DSM5 notwendig sind (DSM5; ICD10; Habermann & Kißler, 2022).
Dass nun zusammenfassend von der Autismus-Spektrum-Störung gesprochen wird, bedeutet aber nicht, dass es keine Autismus-Subtypen geben könnte. Fest steht vielmehr nur, dass die frühere Unterteilung (Asperger-Syndrom, frühkindlicher Autismus, atypischer Autismus) nicht zielführend und aus wissenschaftlicher Perspektive falsch war. Eine andere Klassifizierungen in Subtypen ist aber durchaus denkbar. Es ist sogar sehr wahrscheinlich, dass es unterschiedliche Autismus-Subtypen gibt, weil Personen im autistische Spektrum sehr heterogene Symptomausprägungen zeigen und sehr heterogene kognitive Profile aufweisen (wie dies bereits weiter oben dargestellt wurde). Diesbezüglich ist also weitere Forschung notwendig.
Erste Indizien für die Existenz solcher möglichen Subtypen liefert die Studie von Buch et al. (2023), wobei diese Studie mehrere Limitationen aufweist und die Ergebnisse dieser Studie nur als ein erster Schritt in einem umfassenden Forschungsprozess zu verstehen sind. Allerdings verdeutlicht die Studie von Buch et al. (2023) erneut, dass das autistische Spektrum Individuen mit sehr heterogenen Eigenschaften und kognitiven Profilen umfasst.
Um valide Autismus-Subtypen mit Blick auf die kognitiven Profile autistischer Menschen identifizieren zu können, wäre ein komplexer sowie kosten- und zeitintensiver Forschungsansatz notwendig. So sollten bei einer hinreichend großen und repräsentativen Stichprobe verschiedenste Teilleistungsbereiche (z.B. Intelligenz, Empathiefähigkeit, Defizite in der zentralen Kohärenz, Theory of Mind, soziale Kompetenzen, kommunikative Kompetenzen, Arbeitsgedächtnisleistung, weitere Exekutive Funktionen, Leistungsfähigkeit in unterschiedlichen Teilbereichen des Gedächtnisses, Lese- und Rechenfähigkeiten, Aufmerksamkeitsleistung etc.) mit standardisierten und bewährten Messinstrumenten erhoben werden. Anschließend wäre eine Mixtur-Modell-Analyse als statistisches Verfahren im Prozess der Datenanalyse denkbar, um datengestützt Autismus-Subtypen herzuleiten - wie beispielsweise Kißler et al. (2021) dies zur Identifikation von Dyskalkulie-Subtypen bereits getan haben.
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