Eine gute Selbstdiagnostik zum komplexen Thema der Autismus-Spektrum-Störung sollte mit einer umfangreichen Literaturrecherche beginnen. Es genügt dabei definitiv nicht, irgendwelche Homepages, die z.B. bei einer Google-Recherche ganz oben angezeigt werden, zu lesen. Denn es gibt im Internet Quellen unterschiedlichster Qualität und solche Quellen sollten mit Blick auf die jeweilige Qualität reflektiert werden, um die Gültigkeit der dargestellten Informationen einschätzen zu können. Außerdem gilt, dass nicht jede Internetquelle per se von geringerer Qualität als ein Buch sein muss. Für einen Laien kann die Bewertung der Qualität von Werken daher sehr schwierig sein.
In diesem Kapitel wird daher ein kurzer Überblick über mögliche Informationsquellen gegeben, auf die zurückgegriffen werden kann, um sich zum Thema Autismus-Spektrum-Störung fundiert und umfassend zu informieren. Außerdem wird aufgezeigt, welche Qualitätsmerkmale bei der Bewertung der Aussagekraft der Inhalte von solchen Informationsquellen zu reflektieren sind - dabei stellen alle Ausführungen nur Anregungen zum Nachdenken dar und es besteht bei Weitem kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Allgemeine Informationen. Er ist festzuhalten, dass die Inhalte spezifischer Medien (z.B. Bücher, Homepages, TikTok-Videos) nicht per se eine spezifische Aussagekraft und Qualität aufweisen, aber dennoch die jeweilige Medienart bei der Bewertung der Qualität einer Quelle als Indiz berücksichtigt werden muss.
Videoplattformen (z.B. TikTok und YouTube) als Informationsquellen. Quasi jede Person kann unabhängig von der individuellen Qualifikation und den individuellen Kompetenzen im Internet auf TikTok einen TikTok-Account anlegen und irgendwelche (Falsch-)Informationen verbreiten. Allerdings bedeutet dieser Fakt nicht, dass jede Information auf TikTok falsch ist. So ist es zum Beispiel vollkommen egal, ob ein renommierter Arzt zum Thema Autismus sein Wissen in einem Buch niederschreibt, das man teuer kaufen müsste, oder kostenlos auf TikTok ebendieses Wissen teilt - das Wissen des gut qualifizierten Arztes ist stets dasselbe. Das bedeutet: Die Qualität der Informationen auf TikTok ist sehr heterogen. Ohne weitere Recherchen bzw. Anhaltspunkte lässt sich die inhaltliche Qualität eines Videos nicht pauschal bewerten.
Wenn wir ein TikTok-Video schauen und nicht genauer analysieren, wer die Informationen darstellt, können wir (ohne Vorwissen zum Thema) keine Aussage über die Qualität der Inhalte treffen. Und selbst wenn wir wissen, wer die Inhalte darstellt, so kann es sein, dass dieser eine Inhalt von der Fachperson ausnahmsweise falsch dargestellt wird, denn es gibt bei TikTok keine weitere Qualitätskontrolle durch weitere Personen oder Instanzen. Ähnlich wie in diesem Beispiel sieht es auch mit Inhalten auf anderen Videoplattformen wie YouTube aus. Somit kann es sein, dass man z.B. auf TikTok gute Informationen findet, allerdings sollte man genau hinterfragen, wem man Glauben schenkt. Wenn eine Person ihre Qualifikationen (z.B. ihre akademischen Abschlüsse und ihren Beruf) sowie ihre Wissensgrenzen ("zu diesem Thema habe ich keine Ahnung, dafür gibt es andere Fachpersonen") offen und transparent kommuniziert, ist dies in der Regel ein positives Qualitätsmerkmal.
Ein strukturelles Problem auf der Videoplattform TikTok besteht darin, dass die Videos oft sehr kurz sind: Häufig weisen die Videos eine Länge von unter 3 Minuten auf, teilweise sind die Videos sogar kürzer als eine Minute. YouTube-Videos, die Informationen zu Themen komplex bereitstellen, sind hingegen häufig (aber nicht immer!) länger: Nicht selten weisen sie eine Länge von 10-30 Minuten auf. Fachinhalte müssen aufgrund der Beschränkung der Videolänge von TikTok-Videos oft prinzipiell in vereinfachter Form dargestellt werden. Eine vertiefende Diskussion von Fachinhalten ist dann häufig nicht möglich und einige (wichtige) Aspekte können aufgrund von Zeitmangel nicht thematisiert werden. Dieses prinzipielle Problem, das sich aufgrund des Videoformats auf TikTok ergibt, ist bei einer Recherche mitzudenken.
Internetseiten als Informationsquellen. Ähnlich wie Informationen auf Videoplattformen sind auch Informationen auf Internetseiten von ungewisser Qualität. Denn auch eine Internetseite kann heutzutage (fast) jede Person unabhängig von ihrer fachlichen Qualifikation mit einem Baukasten selbst erstellen oder durch einen Anbieter für geringes Geld erstellen lassen. Bei Homepages sollte im Impressum genau überprüft werden, wer die Informationen bereitstellt und was die Qualifikationen dieser Person sind. Unter Umständen verfolgt die Person, welche die Inhalte auf ihrer Homepage darstellt, sogar zwielichtige Interessen. So gibt es im Internet Coaches, welche angeben, dass Autismus "heilbar" wäre (was aus wissenschaftlicher Perspektive falsch ist und beispielsweise auch in der ICD11 nachzulesen ist! Die Symptomausprägung kann sich jedoch im Laufe des Lebens unterschiedlich stark äußern). Ebendiese unseriösen Coaches erwecken bei Personen, welche sich durch ihren Autismus eingeschränkt fühlen und/ oder gerne ihren Autismus "loswerden" möchten (z.B.: wegen Diskriminierung in der Gesellschaft), durch ihre Falschinformationen die "Hoffnung" auf "Heilung". Dies führt dann dazu, dass diese Personen bei den Coaches Kurse buchen und viel Geld zahlen, wodurch der Coach zwar ggf. reicher wird, aber der autistische Mensch dennoch autistisch bleibt, denn das "Werbeversprechen" diente bloß der Kundengewinnung. Daher muss auch auf Homepages kritisch hinterfragt werden, welche Absichten die Person, welche die Informationen anbietet, haben könnte. An dieser Stelle ist der Vollständigkeit wegen anzumerken, dass es auch seriöse und kompetente Coaches gibt. Allerdings ist die Berufsbezeichnung "Coach" nicht geschützt und somit kann die formale Qualifikation von Coaches sehr unterschiedlich ausfallen.
In einer Analyse von Kamp-Becker et al. (2019) konnten nur auf 39% der untersuchten Internetseiten zum Thema Autismus Referenzen für wissenschaftlich fundierte Informationen gefunden werden - oft waren sogar Falschinformationen zu finden. 30% der von Kamp-Becker et al. (2019) analysierten Internetseiten wiesen Informationen mit ungenügender Qualität auf und 41% der Internetseiten wurden als mangelhaft eingestuft. Nur 6% der Internetquellen konnten als gut bewertet werden. Dies demonstriert, dass Informationen, die im Internet zu finden sind, nicht per se eine schlechte Qualität aufweisen müssen. Allerdings wird auch deutlich, dass viele Internetquellen irreführende Informationen darstellen bzw. die Qualität der Informationen, die im Internet zu finden sind, oft nicht von ausreichender Qualität sind. Daher ist es wichtig, gewissenhaft mit Internetquellen umzugehen und genau zu überprüfen bzw. abzuwägen, wer mit welcher Absicht und mit welcher Qualifikation Informationen im Internet darstellt.
Bücher als Informationsquellen. Aber auch Bücher (z.B. insbesondere Bücher, die im Eigenverlag erschienen sind) unterliegen nicht immer einer Qualitätskontrolle: Jede Person kann heutzutage ein Buch im Eigenverlag veröffentlichen und z.B. über Amazon verkaufen. Bei Büchern, die im Eigenverlag erscheinen, gibt es in der Regel keine nennenswerte Qualitätskontrolle durch ein Lektorat oder einen Verlag. Daher sollte bei Büchern stets darauf geachtet werden, wo das Buch erschienen ist. So gibt es namenhafte Wissenschaftsverlage, bei denen die Inhalte einer standardisierten Qualitätskontrolle unterliegen: Lektoren/ Lektorinnen sowie weitere Angestellte, welche den Verlag vertreten, haben die Aufgabe dafür zu sorgen, dass der gute Name des Verlags nicht beschädigt wird. Sie stellen daher sicher, dass die Bücher eine gewisse Mindestqualität aufweisen. Außerdem sollte überprüft werden, wer einem hier in Form eines Buches etwas mitteilen möchte: Was sind die Qualifikationen dieser Person? Ist diese Person bereits in der Vergangenheit mit fragwürdigen Aussagen aufgefallen? Verfolgt die Person irgendwelche besonderen Interessen?
"Wissenschaftliche Studien" als Informationsquellen. Auch bei "wissenschaftlichen Studien" ist Vorsicht geboten, denn nicht alles, was wie eine wissenschaftliche Studie aussieht, ist tatsächlich eine wissenschaftliche Studie. Außerdem gibt es auch wissenschaftliche Studien von unterschiedlicher Qualität. In einem ersten Schritt muss festgestellt werden, ob der Beitrag, der einem vorliegt, überhaupt tatsächlich eine wissenschaftliche Studie ist oder ob es sich um eine Pseudostudie handelt. Um Pseudostudien von glaubwürdigen wissenschaftlichen Studien differenzieren zu können, ist es hilfreich, in einem ersten Schritt zu überprüfen, wo diese Studie erschienen ist. Meistens bedeutet die Frage nach dem "Wo?", dass die Fachzeitschrift, in welcher die Studie erschienen ist, genauer unter die Lupe genommen werden sollte. Denn wissenschaftliche Studien erscheinen in aller Regel in wissenschaftlichen Fachzeitschriften.
So gibt es "Fachzeitschriften", die quasi jeden Mist veröffentlichen, wenn die Autor:innen eines Beitrags der Zeitschrift nur etwas Geld zahlen. Der Beitrag wird dann hochwertig formatiert und sieht sehr professionell aus, ist aber nicht das Papier wert, auf dem der Beitrag gedruckt wurde (wenn der Beitrag überhaupt jemals gedruckt wurde). Wenn man eine wissenschaftliche Studie vorliegen hat, die in einer Fachzeitschrift erschienen ist (ggf. auch digital, was heutzutage nicht per se ein mangelndes Qualitätskriterium ist), so sollte zunächst recherchiert werden, ob es sich um eine seriöse und in der Wissenschaft anerkannte Fachzeitschrift handelt. Nur wenn die Fachzeitschrift seriös ist, sollte dem Inhalt des Beitrags Beachtung geschenkt werden.
Wenn es sich nun tatsächlich um eine seriöse wissenschaftliche Studie handelt, so kann der Beitrag dennoch von unterschiedlicher Qualität sein. Sollte es sich um eine peer-reviewte Studie handeln, so ist dies ein positives Qualitätsmerkmal. Unter einer peer-reviewten Studie ist zu verstehen, dass der Beitrag, bevor er veröffentlicht wurde, von anderen, unabhängigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern für gut befunden wurde. Das heißt: Andere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben sich die Studie vorab angeschaut, ggf. Ratschläge zur Verbesserung gegeben und überprüft, ob die Studie methodisch prinzipiell sinnvoll durchgeführt wurde. Studien, die von sehr geringer Qualität sind, überstehen ein solches Peer-Review-Verfahren in aller Regel nicht. Auch wenn es gute wissenschaftliche Studien gibt, die nicht peer-reviewed wurden (eventuell weil ein Peer-Review-Verfahren häufig mehrere Monate dauert und sich dadurch die Veröffentlichung einer Studie hinauszögern kann), ist es als positiv zu bewerten, wenn eine Studie ein Peer-Review-Verfahren positiv durchlaufen hat.
Unabhängig davon, ob eine Studie ein Peer-Review-Verfahren durchlaufen hat oder nicht, sind verschiedene Studienarten zu unterscheiden, weil sie in der Regel unterschiedliche Aussagekraft bzw. Belastbarkeit aufweisen. Damit es an dieser Stelle nicht zu theoretisch wird und auch interessierte Laien weiterhin folgen können, werden an dieser Stelle Vereinfachungen vorgenommen und auf bestimmte Studiendesigns (z.B. Doppelblindstudien) nicht weiter eingegangen.
Grob ist zwischen Einzelstudien, Reviews und Meta-Analysen zu unterscheiden. Bei Einzelstudien oder Primärstudien handelt es sich um wissenschaftliche Studien, die zu einer Fragestellung Daten erhoben sowie ausgewertet haben und dann die Ergebnisse dieser Studie veröffentlicht haben. In Reviews werden die Erkenntnisse mehrerer Einzelstudien zu einem Thema oder zu ähnlichen Themen gebündelt: Gemeinsamkeiten werden dargestellt, Unterschiede werden diskutiert. Während Einzelstudien (z.B. aufgrund von Verzerrungen bei der Stichprobenerhebung oder der konkreten Methodik der Studie) zu unterschiedlichen bzw. widersprüchlichen (und ab und an auch zu falschen) Ergebnissen kommen können, können Reviews genau solche falschen Studienergebnisse identifizieren. Wenn z.B. 20 Studien zu Ergebnis A gelangen und nur eine Studie zu Ergebnis B kommt, so liegt der Verdacht nahe, dass Studie B einen spezifischen Mangel aufweist. Solche Mängel können unterschiedliche Gründe haben. Letztendlich unterlaufen überall dort Fehler, wo überhaupt gearbeitet wird. Somit sind Fehler nicht schlimm, sondern vollkommen normal. Ein Review würde auffällige und möglicherweise falsche Studienergebnisse in aller Regel diskutieren, am Ende alle Studienergebnisse zusammenführen und dann zu einem bilanzierenden Ergebnis kommen, welches auf zahlreichen Studien aufbaut und somit belastbarer ist als eine Einzelstudie. Eine Meta-Analyse ist mit einem Review vergleichbar, allerdings werden im Rahmen einer Meta-Analyse in aller Regel statistische Verfahren angewendet, um die Ergebnisse der Einzelstudien zusammenzuführen und zu einem ggf. quantifizierbaren Ergebnis zu kommen (z.B. eine Gesamteffektstärke für einen Effekt zu berechnen). Die Ergebnisse von Meta-Analysen sind sehr oft sehr valide. Allerdings können Reviews und Meta-Analysen nur dann durchgeführt werden, wenn ausreichend Einzelstudien zu einem Thema vorliegen.
Generell sollte überprüft werden, ob hinter den Autor:innen von wissenschaftlichen Studien Personen stehen, welche irgendwelche Interessenskonflikte aufweisen - z.B. Personen, welche etwas herausgefunden haben, mit dem sie Geld verdienen möchten, oder Personen, die herausgefunden haben, dass etwas, womit sie bereits Geld verdient haben (z.B. ein Medikament), angeblich sehr wirksam ist. Solche Studienergebnisse von Autor:innen mit Interessenskonflikten sollten kritisch reflektiert werden. Ich, der Autor dieses Werkes, arbeite zum Beispiel hauptberuflich als Wissenschaftler und werde unabhängig von meinen Forschungserkenntnissen bezahlt: Unabhängig davon, was ich herausfinde, bleibt meine Bezahlung prinzipiell identisch. Somit habe ich kein spezifisches Interesses, etwas zu behaupten, das nicht stimmt, oder irgendwelche Forschungsdaten zu fälschen. Dies kann bei anderen Wissenschaftler:innen durchaus anders aussehen, wenn Interessenskonflikte vorherrschen. Daher sollte auf mögliche Interessenskonflikte geachtet werden. Bei seriösen Studien werden mögliche Interessenskonflikte der Autor:innen häufig am Ende der Studie transparent benannt.
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